Im Grunde habe ich zwei Dinge an „Watchmen“ auszusetzen. Beides schon am Comic, aber auf den Film lässt sich meine Kritik ebenso anwenden. Das eine, und da bin ich nicht der erste, der das erwähnt, ist der Plan des Antagonisten, welcher die Handlung in Gang bringt. Der ist Klischee pur. Ich habe keine Ahnung, wie oft ich auf diese Idee schon gestoßen bin, man kann zumindest Alan Moore zugute halten, dass er das bekannteste Beispiel dafür, die OUTER LIMITS-Episode „Architects of Fear“ im letzten Kapitel des Buches zitiert und zu der Unoriginalität der Idee an sich steht. Wobei mich selber diese Klischeehaftigkeit noch am wenigsten stört, denn wenn Alan Moore etwas kann, dann altvertraute Muster verwenden und die in ein neues Licht rücken, und auch hier gelingt es ihm.
Nein, was ich wirklich störend finde, das ist ein Loch im Plot, das nicht nur klischeehaft, sondern sogar kitschig gestopft ist; und, schlimmer noch in meinen Augen, so dass es sich nach einer ausgemacht esoterischen Botschaft anhört.
Ich rede von dem Ende des langen Dialogs zwischen Dr. Manhattan und Silk Spectre auf dem Mars. Dr. Manhattan bezeichnet Silk Spectres Geburt als „thermodynamisches Wunder“, und so wie ich den Begriff in diesem Kontext auffasse meint er: ein Ereignis, welches, auch ohne ein Naturgesetz zu verletzen, im Rahmen dieser Gesetze so unwahrscheinlich ist, dass sein Eintreffen de facto mit einem Wunder gleichzusetzen wäre.
Wie hoch ist denn nun die Wahrscheinlichkeit, dass im Watchmen-Universum Silk Spectre geboren wurde? Vielleicht sollte jeder meiner Leser mal überlegen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass all seine Vorfahren sich so trafen und fortpflanzten, wie sie es taten; dass über alle Generationen hinweg bei jedem Zeugungsakt immer gerade diese von Millionen Spermazellen auf diese Eizelle traf, und ebenso sich immer diese potentiellen Vorfahren trafen, um sich weiter fortzupflanzen.
Die Lösung dieser Frage lautet: Die Wahrscheinlichkeit beträgt 100%! Etwas weniger unwahrscheinliches ist nicht denkbar. Der Leser existiert, also ist es nicht nur wahrscheinlich, sondern unabdingbar, dass all diese Prozesse zu seiner Existenz geführt haben. Ebensolches gilt für Silk Spectre.
Was weder Moore noch Manhattan bedenken: Ein Ereignis kann nur vor seinem Eintreten eine niedrige Wahrscheinlichkeit haben; und wenn es eine hohe Zahl von sich ausschließenden Möglichkeiten gibt, die alle eine geringe Wahrscheinlichkeit des Eintretens haben, sich die Summe aber auf 100% addiert, so muss eines davon eintreten, und es ist völlig bedeutungslos, welches. Man denke an die Ziehung der Lottozahlen. Mag sein, dass sich jemand darüber erstaunt, dass die 6 von ihm angekreuzten Zahlen gezogen werden; aber wundert sich irgendwer darüber, dass irgendeine Gruppe von 6 Zahlen gezogen wird? Wenn genügend Menschen Lotto spielen würden, und jeder eine andere Kombination wählt, so dass alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind, einer muss gewinnen. Und tut dies mit einer Zahlenkombination, die vor der Ziehung genau so unwahrscheinlich zum Erfolg führen würde, wie die Zahlen jedes beliebigen anderen Teilnehmers. Im Moment der Ziehung verringern sich die vielen kleinen Chancen der Verlierer auf Null, ca 14 Millionen 1:14 000 000-Chancen verschwinden, aber irgendwo muss die Wahrscheinlichkeit ja bleiben; beim Sieger, bei dem sich diese 14 000 000 winzigen Chancen auf 100% sicher ansammeln. Vorher war die Chance, dass einer gewinnt 100%, nach der Ziehung ist die Chance, dass einer gewonnen hat 100%.
Auf das Argument im Watchmen-Comic bezogen: Die Existenz einer Person ist kein unwahrscheinlicher Zufall, nachdem sie begann, zu existieren. Und so einmalig jeder Mensch auch sein mag, daran ist nicht besonderes, gerade weil jeder Mensch so ist. Gäbe es die einmalige Person Herbert nicht, weil irgendein anderes Spermium etwas schneller an einer Eizelle angekommen wäre, gäbe es dafür eine andere, genau so einmalige Person. Wirklich unwahrscheinlich wäre es nur, wenn eine bestimmte, vorhergesagte Person so zustande käme; wenn also zum Beispiel unabhängig voneinander zwei absolut gleiche Individuen entstünden. Wenn man vorher wüsste, welche Lottozahlen gezogen werden.
Und warum stört es mich so, wenn einem Menschen alleine aufgrund seiner Einmaligkeit so ein besonderer Wert beigemessen wird? Weil ich da keinen Wert sehe. Das Argument besagt ja, dass jeder Einmalig ist. Gleich einmalig. Hat dann jeder den gleichen Wert? Oder nicht vielmehr plötzlich überhaupt keinen, weil er seinen Wert nicht mehr aus sich selbst, seinen Gedanken, Entscheidungen und Handlungen zu ziehen braucht? Wie so vieles im esoterischen Gedankengut zielt mir das alles zu sehr darauf ab, dem einzelnen Menschen einerseits zu sagen, dass er wichtig genug ist, dass das gesamte Universum geradezu auf seine Existenz zuarbeitete, und andererseits bietet man die Möglichkeit, keinerlei Verantwortung übernehmen zu müssen: „Ich bin nun mal so, ich kann nicht anders, und größere Mächte haben bestimmt, dass ich so zu sein habe!“
Ob diese Mächte nun Schicksal, Gott, Karma, universelle Ordnung genannt werden, egal: Diese Ausrede hält nur von der Selbstreflektion, dem dazulernen, dem Erkennen der Realität ab. Und dem Universum sind wir alle piepschnurzegal. Wir leben auf einem Planeten, der größer ist, als wir uns es wirklich vorstellen können; in einem Sonnensystem, im Vergleich zu dem unser Planet ein Zwerg ist; umgeben von 100 Milliarden solcher Sonnen in der Milchstraße, die eine von wiederum 100 Milliarden Galaxien im sichtbaren Universum ist. Und wenn sich da tatsächlich jemand einbildet, dass er für das Universum von Bedeutung ist, dann kann die Realität mit seinem Ego wohl kaum mithalten...
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